19. Kölner Rückversicherungs-Symposium

Ab jetzt alles anders?

von Frank Cremer (15)
Am 4. Mai 2023 fand das 19. Kölner Rückversicherungs-Symposium der Technischen Hochschule Köln statt. Die ca. 480 teils internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmer erlebten Diskussionen und Interviews, insbesondere zu den Themen ILS-Markt, Lloyd’s Antwort auf den Brexit, Biodiversität, Risk Maps und Verfassung des Rückversicherungsmarktes. Unterstützt wurde das RV-Symposium von Gallagher Re.

Eingangs berichtete Prof. Stefan Materne über die aktuellen Aktivitäten und Entwicklungen der Kölner Forschungsstelle Rückversicherung. Dabei ging er insbesondere auf die aktuellen Forschungsthemen der wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein. Zusätzlich übernahm er die wissenschaftliche Einführung in die verschiedenen Gesprächsthemen des Tages.

In dem ersten Interview befragte Antje Kullrich (Börsen-Zeitung) Stephan Ruoff (Global Head ILS Schroders), zu den aktuellen Entwicklungen im ILS-Markt. In Bezug auf Hurricane Ian bestätigte Ruoff zwar eine zweiwöchige Illiquidität des Marktes als unmittelbare Folge des Großschadenereignisses, betonte allerdings ebenfalls, dass sich der Markt anschließend wieder stabilisierte. So sei auch der Einfluss auf Neuemissionen Ende 2022 weniger stark ausgefallen und es Anfang 2023 sogar zu einer Rekapitalisierung des Marktes gekommen. Momentan beobachtet Ruoff einen aktiven ILS-Markt; insbesondere auch mit Retrozessionskapazität für Rückversicherer.

In den kommenden Jahren erwartet er ein weiteres Wachstum des Marktes, da der ILS-Markt in der jüngsten Vergangenheit besser performte als andere Asset-Klassen.

v.l.n.r.: Herbert Fromme, Johannes Martin Hartmann, Robert Wiest, Dr. Christoph Lamby, Roland Oppermann, Dr. Markus Eugster

Gleichzeitig haben sich die Renditeerwartungen durch steigende Zinsen und Risk-Spreads erhöht. Nichtsdestotrotz betonte Ruoff ebenfalls, dass sich trotz der ersten Emissionsbemühungen eines Cyber-Cat-Bonds seitens eines Rückversicherers der Transfer von Cyber-Spitzenrisiken in den Kapitalmarkt momentan noch als schwierig erweist. Collateralized-Reinsurance stelle eine effektive Transaktionsmöglichkeit dar. Gleichzeitig hält Ruoff die Nutzung der Bilanz eines Rückversicherers (mithilfe traditioneller Rückversicherung) für die effizientere Variante, um Risiken zu diversifizieren.

Anschließend diskutierten Dr. Marc Surminski (Zeitschrift für Versicherungswesen) und Amélie Breitburd (CEO, Lloyd’s Europe) über die Funktion von Lloyd’s Europe als EU- (Rück-)Versicherer. Diese Gründung war als Antwort von Lloyd’s of London auf den Brexit notwendig geworden, um keine Einschränkungen der Geschäftstätigkeit im Vergleich zu EU-Risikoträgern zu erleiden. Um das identifizierte Protection-Gap in Europa füllen zu können, sei das Kapital und die Kapazität von Lloyd’s notwendig. Dies stelle Lloyd’s Europe sicher und sorge gleichzeitig mit einer europäischen Strategie dafür, dass die Underwriting-Expertise für den europäischen Markt nicht verloren gehe. Wenngleich die Expertise nicht ausschließlich innerhalb der Grenzen der Europäischen Union sitze, gewährleiste man, dass sich Underwriter den Besonderheiten des europäischen Marktes widmen und sich entsprechend ausbilden ließen. Auch wenn man das selbstgesteckte Ziel von 35 % Frauen in Managementpositionen in diesem Jahr möglicherweise nicht erreichen werde, möchte man dennoch ein Vorreiter beim Thema Diversity sein. Ähnliches gilt im Hinblick auf ESG-Fragestellungen, bei denen man sich als verlässlicher und innovativer Transitionspartner beweisen wolle.

Im Anschluss referierte Prof. Jörg Rocholl, PhD (Präsident, ESMT Berlin), in einem Impulsvortrag über die Problematik des Verlustes der Biodiversität. Dabei hob Rocholl zunächst heraus, dass diese Problematik momentan weniger Beachtung finde als der Klimawandel. Im Vergleich zum Klimawandel stehe man bei dem Verlust der Biodiversität vor der Herausforderung, dass man über keine Voraussetzungen verfüge, eine Messbarkeit herzustellen und so dem Verlust keinen Preis beimessen könne. Jedoch ergäbe sich aus einer Störung der Biodiversität ein substanziell erhöhtes Risiko von Pandemien. Aus diesem folgten massive Risiken für den Wohlstand und so sei es von großer Bedeutung, dem Thema deutlich mehr Aufmerksamkeit beizumessen, und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Disziplinen und gesellschaftlichen Sektoren zu verstärken.

Insbesondere bei der Entwicklung von effektiven Maßnahmen zur Bewahrung der Biodiversität könnte sich die (Rück-)Versicherungsbranche mit ihrer Expertise gewinnbringend einbringen.

Die Beschlüsse auf der Weltnaturschutzkonferenz in Montreal im vergangenen Jahr sieht Rocholl als deutlichen Schritt in die richtige Richtung.
Anschließend verglichen Prof. Rocholl und Prof. Materne die Risk-Maps aus ökonomischer Sicht mit denen aus (Rück-)Versicherungssicht. Abschließend diskutierten sie den Wert und die Ausrichtung von wissenschaftlicher Politikberatung.

Prof. Stefan Materne

Prof. Jörg Rocholl, PhD

v.l.n.r.: Stephan Ruoff, Antje Kullrich

v.l.n.r.: Dr. Marc Surminski, Amélie Breitburd

Die abschließende Paneldiskussion wurde von Herbert Fromme (Süddeutsche Zeitung) geleitet, der die Teilnehmer nach der vergangenen Rückversicherungs-Erneuerung sowie der aktuellen Marktsituation befragte. Johannes Martin Hartmann (CEO, VIG Re) sieht kurzfristig keine Tendenz zu einem weicheren Markt. Er rechne damit, dass der Markt für mindestens zwei weitere Jahre auf dem gegenwertigen Niveau verbleibe. Womöglich verschärfe er sich noch, falls es weitere Überraschungen in den Rahmenbedingungen geben sollte. Zudem sei die Rückversicherung keine Lösung, um ein schlechtes Originalgeschäft zu sanieren. Gleichzeitig sei es die Pflicht der Rückversicherer, Risiken aus Frequenzdeckungen beherrschbar zu machen und die Zedenten nicht aufgrund unzulänglicher Modelle im Stich zu lassen. Abschließend fasste er zusammen: „Die Erneuerung war etwas unordentlich.“

Roland Oppermann (CFO, SV Sparkassen-Versicherung) unterstrich, dass auch er nicht mit einer kurzfristigen Aufweichung des RV-Marktes rechne und die vergangene Verhärtung eine Frage der Zeit gewesen sei. Gleichzeitig hob er allerdings hervor, dass er über den Zeitpunkt und das Tempo, mit dem einige namhafte Rückversicherer das Kapital aus dem Markt genommen hätten und nicht mehr als Partner zur Verfügung stünden, überrascht gewesen sei. So betonte er, dass sich gezeigt hätte, wer die verlässlichen Partner unter den traditionellen Rückversicherern seien. Selbst möchte man ebenfalls ein verlässlicher Partner sein und das eigene Programm konstant halten.

Dr. Markus Eugster (CEO Europe, Korean Re) schloss sich der Einschätzung der Vorredner hinsichtlich der kurzfristigen Entwicklung an und hob hervor, dass trotz einer steigenden Nachfrage für Rückversicherungsschutz die Eintrittsschwelle für neues Kapital in den Rückversicherungsmarkt sehr hoch sei. Des weiteren stellte er klar, dass Transparenz und offene Kommunikation mit den Kunden sowie ein langfristiges Kontinuitätsdenken von Geschäftsbeziehungen ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg sei. Zudem stellte er in Aussicht, dass Korean Re in der nächsten Erneuerung mehr Kapazität anbieten könnte.

Wie auch seine Vorredner wäre Dr. Christoph Lamby (CEO, R+V Re) überrascht, wenn der derzeitige Trend kurzfristig kippen würde und betonte in diesem Zusammenhang den zunehmend schwerer werdenden Risikoausgleich sowohl im Kollektiv als auch über die Zeit. Zudem unterstrich er, dass die R+V Re momentan dabei sei, das eigene Portfolio zu profitabilisieren und in diesem Zuge die Kapazität weitestgehend unverändert ließe.

Robert Wiest (CEO, MS Reinsurance) erwartet, dass die kommende Erneuerung noch anspruchsvoller werde. So sei wahrscheinlich das gleiche Kapitalvolumen im Markt, und die Zedenten würden noch stärker nach ihrem Underwriting- und Risikomanagement selektiert. Gleichzeitig geht Wiest davon aus, dass sich die aufgetretene Verzögerung im Retrozessionsmarkt legen werde und die Rückversicherer sich in der kommenden Erneuerung schneller auf ihre Angebotspositionen festlegen können.

Auch das Thema ESG wurde im Rahmen der Diskussion behandelt. Hierbei merkte Herr Oppermann an, dass es nicht die alleinige Aufgabe der Versicherungswirtschaft sei, diese Problematik zu adressieren, sondern insbesondere Regulatoren gefragt seien. Darüber hinaus wurde das Thema IFRS 17/IFSR 9 diskutiert. Hierbei merkte Herr Fromme an, dass die Einführung von IFRS 17 die versicherungstechnischen Gewinne positiv beeinflussen. Herr Hartmann sowie Dr. Lamby unterstrichen, dass zunächst IFRS 17 verstanden werden müsse. Das Panel war sich grundsätzlich einig, dass die amerikanischen Bankenkrise momentan keinen wesentlichen Einfluss auf die hier ansässigen Regionalbanken habe. Herr Wiest hält es für möglich, dass sich Cyber zu einem diversifizierendem Exposure zu Nat Cat entwickeln werde. Allerdings gäbe es in Cyber im Vergleich zu Nat Cat eine größere Anzahl von Gefahren (in Nat Cat: vier Gefahren) zu modellieren. Hier sei im Gegensatz zu Nat Cat noch keine ausreichende Zuverlässigkeit der Modelle erreicht.

Prof. Rocholl und Auditorium

Für die stetig größer werdende Teilnehmerzahl aus dem internationalen Umfeld wurde auch in diesem Jahr eine englische Simultanübersetzung angeboten.

Im Anschluss an das Symposium nutzten die Teilnehmer bei dem Get-together die Gelegenheit für weitere Diskussionen, pflegten bestehende und knüpften neue Kontakte.

Frank Cremer – wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand der Kölner Forschungsstelle Rückversicherung (Leitung: Prof. Stefan Materne) an der TH Köln

Fotos: Kathrin Lübeck

Impressionen